Vom digitalen Enthusiasten zum Papierkrieger Mein Weg durch die Bürokratie der Schweiz
12. Juli 2024
Aufgewacht voller Tatendrang setze ich mich an den Laptop.
Gestern habe ich das Formular ausgefüllt, um mein Einzelunternehmen in der Schweiz anzumelden. Was für ein Meilenstein, ich habe mich so gefreut. Dachte, dass es nun nur noch Warten heißt, dass ich für den Service von startups.ch bezahlt habe und mich jetzt um nichts mehr kümmern muss.
Dann die Enttäuschung - falsch gedacht! Ich finde in meinen Mails mehrere PDFs, die ich ausdrucken muss. Ausdrucken.
In der aktuellen Zeit reden alle von KI, ich möchte ein Startup gründen, welches als Digital Life Coach Menschen dabei hilft ihr bestes Leben zu sehen & zu realisieren. Bestimmt komme ich an den Punkt KI zu integrieren.
Aber erstmal muss ich dafür Formulare ausdrucken. Ich habe seit 2012 kein Laptop mit CD Laufwerk mehr und habe es nicht gebraucht seitdem. Auch ohne Drucker bin ich seid Jahren gut klar gekommen, es gab ja immer Möglichkeiten im Büro notfalls einmal im Jahr etwas auszudrucken.
Dann ziehe ich in die Schweiz zu meiner Freundin, ich bin froh, dass wir uns so gut verstehen - sie hat also auch keinen Drucker. Eine kleine Aufgabe, die heranwächst. Wie machtlos man sich fühlt, wenn mich kleine Alltags Aufgaben schon viel Kraft kosten.
Und damit nicht genug, für die Gründung darf ich auch eine beglaubigte Unterschrift anfertigen lassen. In vielen Kantonen ist das etwas einfacher, im Kanton Bern ist es wohl notwendig dafür einen Notar zu besuchen. Bei einem Notar war ich bisher nur einmal im Leben, es hat sich angefühlt wie den König zu besuchen. Damals habe ich eine Wohnung gekauft für über Hunderttausend Euro. Da konnte ich den Notar verstehen. Aber bisher war ich es gewohnt, dass ich die wichtigsten Machenschaften, bspw. Bankkonten online per VideoIdent eröffnen konnte.
Und das alles in der Schweiz, vor ein paar Wochen war ich noch überrascht, dass man in jeder Bar mit Apple Pay sein Bier bezahlen kann.
Heute gehe ich also zu einem Copy Shop, mal sehen wie ich die 5 PDFs gedruckt bekomme. Vermutlich brauche ich eine Option, die vorher zu faxen. Danach suche ich mir einen Notar, der dann meinen Personalausweis und mich ansieht und mich beobachtet wie ich meine Unterschrift darunter male.
Welch ein bedeutsamer Tag! Welch glorreicher Fortschritt!
Am Abend des gleichen Tags setze ich mich zufrieden auf das Sofa. Die Probleme des Morgens sind beseitigt. Ich kann es zwar immer noch kaum glauben, dass diese Kleinigkeiten mich den Tag über beschäftigt haben, aber nun sind auch diese Probleme gelöst.
Die Papiere habe ich in einem Copy Shop gedruckt, es war eine witzige Aufgabe an die passenden Dokumente zu kommen - ich hatte alles in der Cloud gespeichert und konnte mich an einer PC Station anmelden. Dort ist mir auch wieder ein kleines Hindernis begegnet - das Tastaturlayout der Schweiz... Wo finde ich hier die Sonderzeichen wie @?!$§&. Mit Google und Bildschirmtastatur habe ich es geschafft, falls dir eins davon fehlt - kopiers dir gerne aus meinem Artikel...
Die beglaubigte Unterschrift beim Notar war dann auch kein großes Problem, ich hatte Glück und konnte spontan beim ersten Notariat eine Unterschrift organisieren. Auch hier gab es einen kurzen Moment der Aufregung, denn ich konnte nur per TWINT bezahlen oder mit Bargeld. TWINT ist ein Bezahldienst, der in der Schweiz fast überall genutzt werden kann, ähnlich wie PayPal - aber verbunden mit einem Schweizer Bankkonto. Also nein, ich habe noch kein TWINT, ein Bankkonto lässt sich oft nur mit Schweizer Pass oder Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Also Bargeld. Gemeint war natürlich kein Euro, sondern Schweizer Franken!
Schön und gut, so war ich das erste Mal an einem Bankautomat und habe CHF abgehoben. Easy.
Der Fortschritt fühlt sich gut und schlecht an, gut weil es eins der wichtigsten Themen für mich aktuell ist - das Unternehmen anzumelden und damit dann auch den Prozess der Aufenthaltsgenehmigung weiter voranzutreiben. Und egal, was ich dafür tun soll - jeder Schritt bringt mich näher an das Ziel ;) Aber auch schlecht, weil solche Kleinigkeiten - mir selbst keine große Freude machen und ich selten akzeptiere, dass es so kompliziert sein muss. Das soll aber nicht mein Problem sein, welches ich lösen will - vielleicht macht das ja jemand anderes.
Ansonsten lerne ich: Nicht alles ist so digital und fortschrittlich wie ich will. Es gibt noch genug Potential, was einfacher gehen könnte - überall. Also auch in der Schweiz.
Bis bald 👋